13. Ohne Vergebung gibt’s keine Genesung

Mobbing dauerte viele Monate und es hatte einen sehr schlechten Einfluss auf mein Leben, meine Gesundheit und meinen allgemeinen Zustand. Nachdem ich meine Firma verlassen hatte, mussten ein paar Jahre vergehen, bis ich langsam wieder zu Kräften kam und ich die verderblichen Folgen des Mobbings aus meinem Leben loswurde. Jetzt bin ich gesund, arbeite und funktioniere normal in allen Lebensbereichen.

Die Jahre vor meiner Rückkehr zur Normalität können als ein Zeitraum betrachtet werden, der mir aus meinem Lebenslauf weggenommen wurde. Das war eine Zeit die nur von Krankheiten, vom Leiden und verschiedenen Schwierigkeiten ausgefüllt war. Eine zerstörte Gesundheit, unterbrochene Karriere und Berufsentwicklung, Arbeitsverlust, riesige Lebenshürden und verlorene Lebensjahre, die wahrscheinlich zu den besten gehören könnten. Lebensjahre, die niemals zurückkehren…

Darum kann man sich die Frage stellen: Muss ich ständig denjenigen, die mir nichts Gutes wünschen, auch negativ begegnen? Meine Antwort lautete: Nein.  Heute bin ich auf sie nicht mehr sauer. Ich habe auch keinen Hass, keine Verbitterung und sogar weder Abscheu noch Ekel in mir. Diese Gefühle begleiteten mich während der vergangenen Jahre, bis ich schließlich verstanden habe, dass sie mich innerlich zerstören, genauso, wie bisherige Erinnerungen an bestimmte Menschen und Geschehen. Es musste zunächst eine längere Zeit vergehen, bevor ich den Menschen, die mir was Schlechtes angetan haben, vergeben wollte und überhaupt imstande war dies zu tun. Für mich persönlich war das anfangs ganz unmöglich. Aber dank Gott und dem christlichen Wort „Vergebung”, das mich vom Hassgefühl gegen die Menschen befreite, die zu meiner schrecklichen Situation beigetragen hatten, wurde es schließlich möglich.   

Vergebung kann nur dann stattfinden, wenn das Herz dazu bereit ist

An einem Tag wurde mir klar, dass ich nicht mehr in meinen Erinnerungen leben kann. An diesem Tag sah ich deutlich, dass ich mich immer wieder in der jüngsten Vergangenheit befand. In meinen Gedanken und vor meinen Augen erschienen unaufhörlich die schmerzhaftesten Ereignisse, die einen noch größeren Schmerz und Verbitterung  verursachten.

Und plötzlich wurde mir klar, dass ich unbewusst ständig an das Mobbing dachte. Diese Gedanken waren mit mir jeden Tag da, obwohl ich mich doch mit den jeweiligen Menschen seit langer Zeit nicht mehr traf. Unwillkürlich dachte ich so oft an sie, dass sie schließlich zu meinen untrennbaren Genossen wurden. Sie begleiteten mich überall: zu Hause, auf dem Spaziergang, im Bus, während des Mittagessens usw. Aber ihre Begleitung war für mich sehr schwer zu ertragen und schließlich wurde es zu einer Quelle innerer Zerrissenheit. Außerdem wurde mein Gesundheitszustand immer schlechter und schlechter.

Ich begann über meine Situation zu reflektieren. Fieberhaft suchte ich nach einem Ausweg und einer Lösung, die meine Lage grundlegend ändern könnten. Ich fragte mich: „Was soll ich tun?” Ich versuchte eine Antwort in der Heiligen Schrift und in den christlichen Büchern zu finden. In einem der Bücher las ich: „Ohne Vergebung gibt es keine Genesung.” Nachdem ich kurz überlegt hatte, kam ich zum Entschluss, dass meine Genesung von äußerlichen Mitteln, z.B. psychotropische Arzneimittel, unabhängig ist. Die Ursache meiner Krankheit lag bei mir selbst, nämlich in meinem Inneren. Dort steckte die Quelle meiner Beschwerden.

Ab diesem Moment, als ich es mir klarmachte, begann der Prozess meiner Genesung.

Da ich anfing meine Psyche zu analysieren, entdeckte ich schnell und ohne Schwierigkeit in meinem Inneren eine riesige Anhäufung von Emotionen, die einen grossen Einfluss auf meine psychische und physische Gesundheit hatten. Ich kam zum Entschluss, dass ich mich völlig vom Gespenst vergangener Ereignisse befreien musste, wenn ich wieder zu Kräften kommen wollte.

Zur wichtigsten Sache wurde es den Groll gegenüber den Mobbern loszuwerden. Es war für mich sehr schwierig meine innerlichen Hindernisse zu überwinden und den Schuldigen zu vergeben. Es stellte sich sogar heraus, dass es -menschlich gesehen- für mich ganz unmöglich war. Ich wusste genau, dass ich ihnen wegen dem Verlust meiner Arbeit und Gesundheit, meiner zerstörten Berufskarriere und der vielen Monate in ständiger Angst, nicht vergeben konnte. Ich war einfach nicht imstande mich der Vergebung zu öffnen. Es geht doch nicht nur darum, um „Ich vergebe” zu sagen. Es geht vor allem darum, dass auch das Herz dazu bereit ist, denn nur dann kann auch eine wahre Vergebung stattfinden. Mir wurde klar, dass ich ohne Hilfe Gottes unfähig war zu vergeben. Je größer der Schmerz und das Leid waren, desto schwieriger war für mich der Vergebungsakt.

Als ich entdeckte, dass das Fehlen einer Bereitschaft für eine Vergebung zu einem Hindernis auf dem Weg zu meiner Genesung war, beschloss ich für diese Menschen zu beten. Zu Beginn dachte ich, es sei ausreichend. Doch trotz des Gebets begleitete mich der Groll immer wieder. Während der Fürbitte in der Charismatischen Erneuerung oder dem Heilungsgottesdienst wurden an mich mehrmals Worte über das Bedürfnis nach Vergebung gerichtet. Aber ich nahm sie mir nie zu Herzen. Ich war sicher, dass ich bereits allen Menschen vergab, die mir bisher irgendetwas Böses angetan hatten. Warum? Ich versuchte doch nicht schlecht über sie zu denken und war überzeugt, dass das ausreichend war. Auch, wenn mir irgendwelche böse Gedanken über diese Menschen in den Kopf stiegen, bemühte ich mich sie von mir wegzustoßen und um jeden Preis vor meiner Vergangenheit zu fliehen. Aber Gott zeigte mir, dass die christliche Vergebung gar nicht darin besteht…

Bereiche der Genesung

An einem Tag gab mir meine Freundin eine kleine Broschüre über Vergebung. Ich vermutete damals nicht, dass diese dünne, fast unscheinbare Broschüre eine riesige Rolle in meinem Leben spielen würde. Sie hieß „Gebet um Vergebung” und wurde vom Pater Robert deGrandis, einem amerikanischen Charismatiker, geschrieben, der in Verbindung mir der charismatischen Erneuerung steht. Das Büchlein enthält einige wichtigen Fragen, von denen ich vorher keine Ahnung hatte.

Ich habe erfahren, dass der Mensch eine Genesung in fünf Lebensbereichen braucht: im seelischen, emotionellen, psychischen, physischen Bereich als auch im Bereich menschlicher Beziehungen. Alle Bereiche sind miteinander verknüpft. Es gibt keine physische oder psychische Genesung ohne einer Genesung der Seele, weil die Ursachen von vielen Krankheiten und Beschwerden im seelischen Bereich kommen. Also ist die Frage der Vergebung auch mit dem seelischen Bereich verbunden. Sowohl unsere Sünden als auch die Sünden anderer, die wir in unserem Leben treffen, verursachen zahlreiche tiefe seelische Verletzungen.

Es wird uns selten bewusst, dass viele Verletzungen sich in uns selbst befinden, die durch schmerzhafte Ereignisse aus der Vergangenheit verursacht wurden. Erfahrungen, die uns seelischen Schmerz zubereitet haben, werden am meisten ins Unterbewusstsein verdrängt. Auf diese Weise wird unser Unterbewusstsein zu einem riesigen Lagerbereich, in dem angenehme sowie auch traurige Erlebnisse der Vergangenheit „abgelagert” werden. Dort können viele düstere Ereignisse gefunden werden, die einen negativen Einfluss auf unser ganzes Leben, unser Befinden und auch unsere Gesundheit, ausüben. In unserem Unterbewusstsein verbergen sich u.a. alle unsere Erinnerungen, die unser Denken, Verhalten und Handeln bestimmen. Oft wissen wir nicht, dass sie unser jetziges und zukünftiges Leben beeinflussen.

„Die meisten Verletzungen sind in unserem Unterbewusstsein verbergt und sie „führen” dort ihr eigenes Leben.  Unser Bewusstsein ist wie der unsichtbare Teil des Eisberges, dessen 4/5 sich unterhalb der Wasseroberfläche befindet und nur 1/5  oberhalb des Wassers zu sehen ist. Die im Bewusstsein verborgenen Erfahrungen sind unerreichbar und für uns unbemerkbar, aber sie werden dann sichtbar, wenn bei uns Zorn, Ärger, Verbitterung, Mangel an Lebensfreude, chronische Müdigkeit und physischen Krankheiten aufkommen. Aus diesem Grund müssen wir Gott bitten, damit er uns von diesen schmerzhaften Ereignissen befreit, sodass wir allen Menschen, die uns verletzt haben, vergeben können. Auf diese Weise kann es dann zur Genesung kommen” – erklärt Pater DeGrandis.

Ich muss gestehen, dass ich ziemlich Angst hatte zur Vergangenheit, insbesondere zu den schmerzhaftesten Ereignissen, zurückzukehren. Zum Glück erinnerte ich mich an die Worte, die ein Priester einmal gesagt hat:

– Überleg genau, was du willst: Genesung oder Betäubung? Wenn du dich für eine Genesung entscheidest, musst du damit rechnen, dass es dir wehtun wird. Man muss die schmerzhaften Verletzungen berühren und sie abschließend reinigen, um die Wunde richtig heilen zu lassen und auf diese Weise mit einer echten Heilung beginnen zu können. Sonst wird die Verletzung nur äußerlich (oberflächlich) geheilt: Schmerz und Leid werden nur betäubt, ohne die Ursache und Quelle der Verletzung zu berücksichtigen.

Gebet um Vergebung und Rückkehr in die Vergangenheit

Ich bin dem Ratschläge von Pater DeGrandis gefolgt und sprach 30 Tage lang das Vergebungsgebet aus. Zu Beginn hatte ich Schwierigkeiten regelmäßig zu beten. Das Gebet soll jeden Tag ausgesprochen werden, aber schon nach ein paar Tagen hörte ich auf zu beten. Erst beim dritten Mal gelang es mir bis zu dem dreißigsten Tag des Gebetes durchzuhalten.

Das war eine unheimliche Rückreise in die Vergangenheit zu meinen Erlebnissen und Ereignissen. Ich konnte mich an die Personen erinnern, die ich seit meiner Kindheit getroffen habe. Da ich das Gebet sehr ernst nahm, machte ich eine Liste, auf der alle Personen standen, die mir irgendwann etwas Böses angetan haben. Später erweiterte ich die Liste um diejenigen, die mir nicht unbedingt etwas Unrechtes getan haben, aber ich ihnen gegenüber negative Empfindungen hatte, wie z.B. wegen ihrer Gleichgültigkeit, Nichthilfeleistung und wegen ihres Mangels an Interesse in für mich schweren Situationen.

Auf diese Weise befanden sich auf der Liste nicht nur meine Mobber, also die direkt zu meiner Lage beigetragen hatten. Je länger das Gebet dauerte, desto größer wurde der Kreis meiner „Schuldigen“. Als ich das dreißigtägige Gebet beendet habe, hatte ich auf meiner Liste einige hundert Personen, die mich in der Vergangenheit verletzt hatten. Ich betete für sie und bat Gott zu mir mit der Vergebungsgnade zu kommen.

Der Rückblick in die Vergangenheit erwies sich als „eine Rückkehr“ zu den peinlichen Ereignisse, an die man sich gar nicht mehr erinnern will. Wie auf dem Fernsehschirm sah ich wieder meine Vergangenheit. Je eifriger ich das Gebet hersagte, desto tiefer wurde der Groll und Verbitterung, aber auch die Last war schwerer, die mich schon früher bedrückte. Oft empfand ich Übelkeit und fühlte mich körperlich sehr schlecht. Aber ich war sicher, dass ich mich auf dem einzigen richtigen Weg zur Genesung befand.

Die Genesung

Bereits nach circa 20 Tagen des Gebetes –wie Pater DeGrandis sagte – kamen seine ersten Früchte. Die Last, die ich an meinem Rücken und in der Magengegend empfand, war auf einmal völlig verschwunden. Der Groll, die Verbitterung und Verzweiflung waren weg! Stattdessen begannen in meinem Herzen Freude und Frieden zu herrschen. Es verbesserten sich auch meine Beziehungen zu Personen, mit denen ich bisher Schwierigkeiten hatte. Das alles war für mich ein Zeichen, dass Gott mein Gebet erhört hatte und mit der Vergebungsgnade zu mir gekommen war.

Meiner Meinung nach ist es sehr wichtig jeden Tag das Vergebungsgebet herzusagen, um Gott all das abzugeben, was mit den täglichen Beziehungen mit Menschen verbunden ist.